Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde,
und liebe Künstlerinnen und Künstler der salzgitter-gruppe,
ich begrüße Sie in dieser facettenreiche Ausstellung, auf die ich nun einige in Sprache geformte Schlaglichter werfen möchte.
Bürostuhl, Kneipenstuhl, Schulstuhl, Chefstuhl, Küchenhocker bilden eine fragile Pyramide. Die sichtlich gebrauchten Holzstühle mit ihren klaren Gebrauchsfunktionen sind in bizarrer, verstellter Konfiguration wirr aufgestapelt und ineinander verhakt. Doch scheint das Gebilde in Auflösung begriffen – gerade noch stehend, vielleicht schon im Fall. Gerd Druwe, Schüler des Fotografenpaars Anna und Bernhard Blume, hat dieses symbolträchtige Arrangement eines fragilen Ungleichgewichts, einer dysfunktionalen Stuhl-Architektur in 4 Schwarz-Weiß-Photografien auf Baryt festgehalten. Der Titel „Cui bono“ – „wem nützt es“ oder „Wem zum Vorteil“, soll vielleicht in einem ironisch-kritischen Sinn die Gedanken auf die Fragilität unserer Welt lenken, die bei all ihrer Funktionalität doch ihren Halt zu verlieren droht. 
Mit diesem Gastbeitrag klingt etwas an, das auch bei anderen Werken in dieser Ausstellung hervortritt – ein subtiler Hinweis auf eine Gegenwart, die gerade aus den Fugen zu geraten scheint. 
Etwa bei Wolfgang Spittler, dessen expressiver Stil wilder geworden ist. Gefügt aus aufgerissenen, bewegten Linien lässt er zwei Figuren aus dem Stück König Ubu auftreten. Die männliche Figur zeugt mit Schwert und Schlachttier und vom Helm verdeckten Augen von blinder Gewalt, während die Frau, die mit einer Krone spielt, hexenhaft und verwirrt erscheint. Dazu der von den spitzigen Formen der Zeitungsnachrichten geradezu entsetzte Leser und der finstere Geiger, der wohl in einem Militärmantel steckt. Gegenwart und Vergangenheit, Medienberichte über irrationale Gewalt… Vielleicht könnte das Ganze auch als Totentanz interpretiert werden?
„Ausgelöscht“ nennt Reinhard Wessolek seine neu entstandenen C-Prints. Wir sehen wie mit Brand- oder Säureflecken überzogene Frauenbilder. Das Ausgangsmaterial des Künstlers sind Bilder aus Printmedien, die er analog und digital bearbeitet. Mit der vollkommenen Auslöschung ihrer gewesenen Schönheit werden diese zerstörten Frauenbilder zum Symbol der Absurdität des medialen Schönheitsideals angesichts der Auslöschung realer Menschen.
Es geht um Sensibilität für das, was sich in unserer Welt abspielt und das in Metaphern der Ratlosigkeit, der Vergänglichkeit, in Stimmungen und Untertönen und immer in Vieldeutigkeit sichtbar gemacht wird. Nicht vordergründig also, sondern in feinen Nuancen.
Etwa in den Arbeiten von Helmut Lingstädt. Eigentlich ist es bloß ein Abbruchhaus, das in einem Foto festgehalten, großformatig gedruckt und in zwei Fassungen farbig weiter bearbeitet wurde. Doch in der künstlerischen Verfremdung weckt dieses Fenstermotiv sehr viele Assoziationen. Die Zerstörungen eines privaten Alltags, der von einer Wand verstellte Ausblick, die Stimmung der Depression…Und dabei ein hoher ästhetischer Reiz, der uns anzieht und uns selbst in den Raum mit Ausblick stellt.
Dazu passt die kleinformatige Serie, in der Vergangenheit „verschlüsselt“, „verpuppt“ oder „verschlossen“ wird. So die Titel zu den gemalten „Artefakten“, die aus dem Staub der Jahrhunderte zu kommen scheinen.
Dieser Vanitasgedanke steckt ebenfalls in den Foto-vintage-prints von Ursula Trams. Sie zeigen angeschwemmte, vereinzelte Fundstücke am Strand. Durch Titel wie „Auf der Suche – Brille“ „Caffee macinato“ evozieren sie mit der Suche nach Verlorenem auch das Thema Erinnerung. Die Arbeiten bestechen durch den Reichtum an Tönen zwischen Schwarz, Grau und Weiß und wirken strukturell fast wie feinste Zeichnungen.
Als Flaneur mit der Kamera ist Klaus Berner in Berlin unterwegs. In den Hackeschen Höfen macht er Entdeckungen, die er fotografisch dokumentiert. Hier ist es eine Straßengalerie, in der sich Gesprühtes, Gemaltes, Geformtes, Alltagsnachrichten – schnell aufgeklebt – wie Schichten einer wilden Tapete über die Häuser gelegt hat. Manches wuchert und bereits plastisch heraus. Gleichsam wie eine Zeitgeistgalerie zwischen Klingelknöpfen und geöffneten Fenstern.
Fundstücke des Alltags werden auch in den Aquarellminiaturen von Dan Groll zu märchenhaften Motiven umgeformt. Surreale Kombinationen von Dingen, die aus verschiedenen Welten bunt zusammenkommen. Verkehrte Größenverhältnisse wie bei Alice im Wunderland, Träume aus einer anderen Welt?
Susanne Hesch schafft ihre rätselhaften Bilder aus einer transparenten Malerei mit großzügigem Duktus. Nur vereinzelte Farbinseln und angedeutete Figurationen leuchten aus einem ungewissen Weiß-Grau. Zwei Figuren, ein Paar in einer schwierigen Beziehungssituation. Sehr intim. Wie die „Schattengestalten“ der Vergangenheit kommen uns die schwarzen Porträts entgegen. Und dann die geöffnete Hand: verwundet, ein Wundmal. 
Fragiles, nicht Greifbares, Ungewissheit, Einsamkeit, Verlust und dunkle Ahnung liegen in den Arbeiten. Individuelle Zustände, aber auch übertragbar auf Gesellschaft und Welt.
Teils überlagert von einem Raster aus kreisrunden Öffnungen oder Formen öffnet und verschließt sich die vierteilige malerische Arbeit von Gunter Fritz dem Betrachter. Ausblick, Wand und Durchblick wechseln. Unter kugelrunden Köpfen meint man eine einzelne Rückenfigur zu erkennen oder schwebende limurenartige Figurationen. Wie rostig wirken die halbgeschlossenen Wände mit ihrer rhythmischen Oberfläche. Was ist die „Persönliche Freiheit“? fragt uns der Titel.
Mit den Canyon-Gemälden von Heide Lühr-Hassels und den farbigen Mischtechniken von Hans-Jürgen Trams wird das Motiv der Landschaft aus einer gebrochen romantischen Haltung heraus bearbeitet. 
Hier die Faszination, die die offene amerikanische Canyon-Landschaft ausübt, dort die Veränderungen der hiesigen Natur durch landwirtschaftliche Nutzung und Vernutzung im Kleinen. 
Mit einem großformatiges Diptychon und einem altarartigen Klappgemälde vermittelt Heide Lühr-Hassels ein Gefühl der Unendlichkeit und Großartigkeit der Canyons. Das gelingt ihr durch den malerischer Duktus aus hochdifferenzierten teils getupften, teils gespachtelten Farbspuren.
Hans-Jürgen Trams lässt uns teilhaben an seiner Sehnsucht nach, dem Ursprünglichen. Köstlich malt er geerntete Rüben genannt: „Wruken – wie aus einer anderen Zeit“. Ihnen und den urigen Kartoffeln setzt er das Motiv der Überformung von Landschaft durch Mais und Raps entgegen. Durchaus ambivalent, denn gerade die Überflutung durch das Gelb der Rapsfelder fasziniert und evoziert eigene Seherlebnisse.
Michael Ewen präsentiert aus seinem reichen Bilderschatz ein Tableau struktureller Acrylarbeiten. Man glaubt, etwas wie Architekturen, Fensterdurchblicke, aber auch Textiles zu erkennen. Tatsächlich sind es er-fundene oder besser ge-fundene Bildwirklichkeiten, die Michael Ewen mit Pinsel oder Rakel über viele Schichten von Papier gelegt hat.
Freie Formen, die aus einem koloristischen abstrakten Expressionismus kommen, verknüpft Peter Kuhl mit thematischen Hinweisen, wie „Luftschlösser“, „Auflösende Erinnerungen“. Motive, die man in der malerischen Handschrift und in den Farbstimmungen dann auch entdecken kann. 
Marlies Mefs ist als Gast in der Ausstellung vertreten. Sie geht in ihren Abstraktionen von farbigen Setzungen und vom Haptischen aus. Krustige aufplatzende Oberflächen, Aufbrüche in der Malhaut, fließende Farben lassen an Vorgänge des Werdens und Vergehens denken. Im Spannungsfeld von Fläche und Raum entsteht in dem türkisblauweißen Werk eine Idee von Unendlichkeit.
Wieder ist die Ausstellung der salzgitter-gruppe von sehr unterschiedlichen künstlerischen Positionen geprägt. Sie sind wiederzuerkennnen und haben sich doch verändert, haben aufgesogen, was in der Zeit liegt. Zeitliches und Überzeitliches, Ausflüge in die Welt und in die Nähe, Realitätsbeobachtungen und künstlerische Experimente, Narratives und Abstraktes findet in dieser Ausstellung Platz. Und wartet nun auf ein interessiertes Publikum.