Ausstellungseröffnung Salzgitter Gruppe 13.11.2016
Sehr geehrten Damen und Herren, 
In Gruppenausstellungen ist es oft so, dass die Arbeiten der einzelnen Künstler aus ihrem eigentlichen Werkzusammenhang herausgerissen werden und durch die Hängung in Beziehung zu Arbeiten der anderen Kolleginnen und Kollegen treten. Oft haben sie auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Zu unterschiedlich sind Material, Inhalt, Formensprache. Es gibt auf den ersten Blick oft nichts, was sich richtig verbindet oder miteinander ergänzt. Dennoch hielt ich Ausschau nach inhaltlichen Verbindungen wie Kunst und Natur, Kunst und Mensch, damit verbunden Kunst und Spiritualität, Kunst und Alltag und Kunst als Abstraktion in Material, Farbe und Form. Über diese Inhalte ließen sich die unterschiedlichen Arbeiten miteinander in Beziehung setzen. Ich lade Sie nun ein, die Ausstellung mit meinen Augen zu entdecken. In dem Wort ‚entdecken‘ steckt eine Herangehensweise, die sich von dem Suchen maßgeblich unterscheidet. Ich erwarte keine bestimmte Umsetzung dieser Themen, sondern beschäftige mich mit dem, was ich finde. Professor Lorenz Dittmann, mein Kunstgeschichtsprofessor an der Universität des Saarlandes, riet uns Studenten: „Man sollte an die Kunst keine Erwartungen haben, sondern abwarten, was sie einem gibt.“ Diesem Rat bin ich bis heute gefolgt und er hat mir immer gute Dienste erwiesen. 
Im Kunstmuseum Wolfsburg wird gerade eine Ausstellung zur britischen Pop Art gezeigt. Die Künstler der Nachkriegszeit verarbeiteten Alltagsmaterial zu Assemblagen und Collagen, gaben ihnen durch die Ausstellungen einen ‚Kunstwert‘ und verbanden so die Low mit der High Art. Auch in Klaus Berners Skulpturen wurde vielfältiges Material verwendet und humorvoll wie auch assoziativ neu zusammengefügt. Daraus entstanden die unterschiedlichsten Figuren: eine erinnert an eine Figur aus dem den Film ‚Starwars‘ und die nächste an einen Totempfahl. Holz, Rohre und Maschinenelemente erwachen zu neuem Leben. Alles kommt neu zusammen und kann neu gedacht werden. Die Fotografien im Hintergrund lassen sich direkt auf die Arbeiten beziehen. Sie zeigen Fotografien aus Buenos Aires und Containerwände oder Mauern, die mit bunten poppigen Figuren und Graffitis bemalt sind. Die realen Stromkästen wirken hierin selber wie Assemblagematerial. 
Noch einen Schritt weiter geht Reinhard Wessolek. Er beschränkt sich auf einfachstes Material: Papier, Pappe, Kleister und Farbe. Drei Quadrate an der Wand formen eine Oberfläche, die ‚Aus einer anderen Zeit‘, so der Titel, zu kommen scheinen. Und wirklich: man hat das Gefühl, die Erde in den ersten Stunden ihres Entstehen anzuschauen oder vor einer Meteoritenoberfläche zu stehen. Die Oberfläche erscheint als grenzenloses, endloses Allover. Damit korrespondieren die kreisförmigen, skulpturalen Arbeiten auf dem Fussboden, bzw. unter der Decke. Der Kreis als Symbol der Unendlichkeit.
Auch der Verfall gehört zu unserem Alltag. Verlassene Häuser erzählen vom Leben, beherbergen Zurückgelassenes aus längst vergangenen Zeiten. Den alten Besen, undefinierbare Gegenstände inmitten von Laub, brüchigen Wänden und Böden. Die Fotoarbeiten von Helmut Lingstädt, auf Bütten aufgezogen, hängen ungerahmt vor der Wand und lassen den Betrachter die Stimmung unmittelbar erleben. Die Fundstücke animierten Lingstädt wiederum zu einer malerischen Auseinandersetzung mit den Objekten. Bläulich schimmernde Einmachgläser liegen stillebenhaft in der Fensterlaibung. Die Leinwände daneben, zeigen dieselben Motive als beinahe unheimliche Gegenstände. Der Hintergrund zeigt eine undefinierbare Masse, Blätter o.ä. von Spinnweben bedeckt und davor liegen zerbrochene Einmachgläser indirekt beleuchtet vor dunklem Grund, in ihrer Materialität oszillierend zwischen scharfen Glaskanten und weicher Stofflichkeit. 
Das Stilleben -nature morte- leitet dann zum nächsten Thema über: Kunst und Natur. Das Ehepaar Trams widmet sich der Natur, die uns umgibt, die unseren Alltag begleitet; eine Natur die vom Menschen kultiviert wird, damit sie ihn versorgt. Hans-Jürgen Trams legt vor unseren Augen eine Spur mit Äpfeln aus. Es sind saftige rot-gelbe Äpfel, einer sogar angebissen. Sie sind so wie wir sie vom Markt kennen und wurden auf dem Waldboden stillebenhaft angeordnet. Sie beschreiben den Weg in einen verwunschenen wirkenden Wald. Trams traditionelle figürliche Malerei kreiert mit alltäglichen Dingen und Natureindrücken phantastische Welten. Ursula Trams‘ schwarz-weiß Fotografien halten der gemalten Welt das fotografische Abbild entgegen. Auch sie findet den Zauber in eher unspektakulären Motiven: Kartoffeln, Heuballen, das Korn und aufgebrochene Erdschollen. Aber man muss zweimal hinschauen, um sie zu erkennen, denn durch die Ausschnittvergrößerung werden die Naturstücke stark abstrahiert und wirken erstmal fremd. 
Die monumentale Arbeit von Heide Lühr-Hassels zeigt ein anderes Bild von der Natur. Die vielgereiste Künstlerin bringt dem Betrachter die Berge des Himalayas näher, die sie auf ihren Trekking Touren erlebt hat. Lühr-Hassels zeigt uns eine karstige Welt, in der kühle blau-graue Farbtöne, Braun und Weiß vorherrschen. Wir stehen vor einer atemberaubenden Landschaft, einer Landschaft, die mehr Natur ist, als eine durch Menschenhand geformte Welt. Die Berge erscheinen uns als materialisierte Form der Erdenzeit, die mit unserem kurzen Menschenleben nicht mehr zu ermessen ist. Was ist der Mensch?
Susanne Hesch und Wolfgang Spittler haben den Menschen im Focus. Wolfgang Spittlers hochformatige, schmale Bilder zeigen vor ockergelbem Grund Geschichten aus dem Alten Testament. Schwarz-konturiert und dicht gedrängt sind die Figuren darin und geben die tragischen Geschichten wieder. Eine davon ist Abraham und Isaak. Der gefesselte Isaak wird vom Vater hinter sich hergezogen, der Widder verbeißt sich links in dessen Arm, unter dem er auch das Feuerholz für die Opferstätte trägt und das Messer ist an seinem Rücken sichtbar. Das gelbe Leuchten am oberen Bildrand könnte der Ausblick auf die erlösenden Worte des Engels sein, der Abraham von dem Mord am eigenen Kind abhält. Aber noch steckt der Betrachter im dramatischen Höhepunkt dieser Geschichte, ihm bleibt nur die Hoffnung auf Erlösung. 
Einer der überlebensgroßen Köpfe der Malerin Susanne Hesch bezieht sich im Titel auf die Figur des heiligen Sebastian. In der christlichen Kunst wird er meist gefesselt und von Pfeilen durchbohrt gezeigt. Bei Hesch schaut er verzweifelt wie auch zweifelnd gen Himmel wie das Spittlersche Pendant daneben. Der fragende Blick in den Himmel, der Wunsch nach Befreiung aus dem persönlichen Leid, prägt die Stimmung im Bild. Aber man muss sich dem eigenen Schicksal stellen. ‚Unausweichlich‘ so der andere Bildtitel. Hesch malt auf transparenter Folie und nicht auf Leinwand, wodurch ihre Arbeiten zart, durchscheinend und fast wie Wandmalereien wirken. Die Köpfe berühren durch ihre Monumentalität den Betrachter unmittelbar. Die ungerahmte Hängung direkt vor der Wand lässt sich in Beziehung zu dem verlassenen Haus von Lingstädt setzen und erweitert den Assoziationsraum. Verlassen sein, verlassen werden. Der Mensch ohne innere und äußere Behausung.
Den existentiellen Dramen hält Dan Groll in seinen Arbeiten die Fabulierlust entgegen. Auf sechs Blättern sind wunderbare Erzählungen entstanden, in denen der selbstgebaute Drachen fröhlich lachend mit einer Windhose spielt, in denen Vögel, deren Schwingen wie Blätter aussehen, gut gelaunt inmitten von Burgen, Strandkörben und Häusern leben. Unbelebte Gegenstände werden in den Geschichten zu Akteuren. Grolls Farbigkeit unterstützt das Erzählerische, sie ist vielfältig, ohne bunt zu sein und setzt feine, zarte Akzente. 
Peter Herzog thematisiert die Welt der harten körperlichen Arbeit. In der mehrteiligen Arbeit ‚Vor dem Hochofen‘ werden neun quadratische Leinwände zu einer großen Ansicht zusammengefügt. Vor dem schwarzen Grund flackern immer neue Farbspuren und Zeichen auf, die den Eindruck einer unruhigen, unsicheren und bedrohlichen Arbeitswelt entstehen lassen. 
Wenden wir uns nun den abstrakten Werken zu. Heinrich-Hugo Ibold verbindet in seinem Triptychon die drei Urformen Quadrat, Kreis und Dreieck spielerisch und farbintensiv miteinander, gleichzeitig macht er sie körperlich erfahrbar. Denn die Oberflächen sind vielfältig: rau wie eine unverputzte Wand, glatt wie eine lackierte Oberfläche oder stofflich weich. Seine geometrischen Formen und Körper werden durch die unterschiedliche Haptik zu individuellen Akteuren auf der Leinwand. Ibold überzeugt aber nicht nur mit seinen malerischen Qualitäten: Die Federzeichnung ‚Aufbruch‘ zeigt, dass er auch mit feinsten Strichlagen dieselbe Lebendigkeit in der Form erzielen kann. 
Ibolds artifizieller Malerei und Zeichnung stellt Peter Kuhl seinen expressiven Duktus in den Arbeiten ‚BangBang!‘ und ‚Its all over now‘ gegenüber. Seine Ölfarbe explodiert in ‚BangBang!‘ wie ein Feuerwerk, das gelbe Leuchtfeuer gen Himmel schießt. Das Material beschreibt nichts, sondern zeigt sich selber in seiner haptischen Vielfalt: ob als Dripping, gespachteltes Farbfeld oder leuchtende Pinselspur. 
Die Ölgemälde lassen sich formal und haptisch mit Dieter Michaelsens Relief ‚Wegekreuz‘ verbinden. Das Relief wird auf einem Tisch liegend präsentiert, vor dem ein Gartenklappstuhl steht, auf den sich der Betrachter setzen kann. Es scheint als betrachte man ein ausgegrabenes Fossil. Hülsen wurden zu einem Wegekreuz gelegt, die in der Fotografie an der Wand wieder auftauchen. Das Kreuz hat viele Bedeutungen. Als erstes ist es natürlich christlich konnotiert, kann aber auch lebenspraktisch gemeint sein, im Sinne einer Entscheidung für den einen oder anderen Weg. Michaelsens Arbeiten laden den Betrachter zu einer meditativen Spurensuche ein.
Dort sitzend geraten auch Gunther Fritz Arbeiten ‚Harzvarianten‘ und ‚Zerlegtes Land’ in den Blick. Fritz nutzt die Mischtechnik, um seine vielschichtigen Arbeiten aufzubauen. Seine Leinwände erscheinen auf den ersten Blick wie Triptychen, aber die einzelnen Segmente sind auf unterschiedlichen Ebenen durch die Farb- und Formvielfalt der einzelnen Malflächen miteinander verbunden. Das wird anschaulich in der Arbeit ‚Zerlegtes Land‘. Der Bauchnabel der vorgelagerten menschlichen Silhouette ist gleichzeitig Bestandteil der hinterlegten Landschaft. Mensch und Natur zeigen sich hier in engster Verbindung.
Gerd Druwes schwarz-weiße Fotoarbeiten versetzen den Betrachter zurück in den Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals stritt man um die rechte Form der Fotografie: scharf oder unscharf, ‚straight‘ oder ‚pictorial‘. Druwes Straßenzüge aus Tel Aviv, Kiryat Tivon und Yokne‘ am Illit erscheinen malerisch, also ‚pictorial‘, mit weichen, verschwommenen Konturen. Die Motive sind aus der Suche nach Form und Fläche entstanden und keine Erinnerungsfotografie. Das Erscheinungsbild ist grobkörnig, wodurch die Flächen und Formen im Bild nicht scharfkantig abgegrenzt sind und die Formen sich aus feinen Grauabstufungen entwickeln. Gezeigt wird das Vollformat, wie die Rahmung der Fotografien zeigen. Auf Holzträgern montiert, rücken sie von der Wand ab und werden trotz ihrer Bildhaftigkeit auch als Objekte wahrnehmbar. Druwe hat mit einer DIANA Kamera gearbeitet, die ursprünglich eine Rollfilmkamera für Kinder war und aus den USA der 60er Jahre stammte.
Neben Druwe hängen die Arbeiten von Michael Ewen: Sechs hochformatige Bilder hängen als Tableau zusammen und erzählen von Farbe und Strukturen. Rhythmisch fügt Ewen Linien zu Gittern zusammen, kratzt unterliegende Schichten wieder frei und befördert eine Spur des Verborgenen wieder zutage, um sie dann doch wieder mit monochromen Farbflächen zu überlagern. Künstlerisches Wissen und Erfahrung werden hier mit experimenteller Schaffenslust zusammengeführt.
Sascha Dettbarn setzt den Arbeiten des ‚Alten Meisters‘ eine poetisch-lyrische Haltung entgegen. Seine gestisch-abstrakte Malerei entspringt dem Moment und macht dem Betrachter die Gefühlswelt während des Schaffensprozesses nachvollziehbar. So wird die Farbe mal drängend und pastos über die Leinwand geschoben, produziert dabei wolkenähnliche Verdichtungen und verharrt dann wieder leicht und lasierend auf der Oberfläche. Manchmal zeigen auch die pastosen Farbflächen eine leicht marmorierte Oberfläche, die dem Material die Schwere nimmt. Dettbarns Farbpalette ist dabei erdig und naturnah.
„Die Verantwortung des Bauhauses besteht darin, Menschen heranzubilden, die die Welt in der sie leben, erkennen und die aus der Verbindung ihrer Erkenntnisse und ihres erworbenen Könnens heraus typische diese Welt versinnbildlichenden Formen ersinnen und gestalten“.
So beschrieb Walter Gropius seinen Auftrag für das Bauhaus. Dieser Geist, den der Gründer der salzgitter gruppe Walter Junge als ehemaliger Bauhäusler hineingetragen hatte, konnte sich über Jahrzehnte in dieser Gruppe halten und ist bis heute die verbindende Kraft jener Individualisten, die seit 55 Jahren alljährlich zusammen kommen. Chapeau!
Pia Kranz